Tryptophan – Funktionen
Die Aminosäure Tryptophan kann vom menschlichen Körper nicht selbst hergestellt werden und ist somit essentiell. Sie ist eine proteinogene α-Aminosäure [Synonym für L-Tryptophan: (S)-Tryptophan] mit einem aromatischen Indol-Ringsystem.
Der menschliche Körper benötigt diese Aminosäure, um zwei wichtige Botenstoffe herzustellen:
- Serotonin (auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT)) – das "Glückshormon" – sorgt für das psychische Wohlbefinden
- Melatonin – das bekannte Schlafhormon – sorgt für den Schlafrhythmus und damit für den wohligen Schlaf.
Als wichtiger Baustein ist Tryptophan weiterhin für den Leberstoffwechsel wichtig und kann unter anderem in das Vitamin Niacin und in das Coenzym Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD) umgewandelt werden.
L-Tryptophan
Aufgrund seiner starken Lipophilie (gut löslich in Fetten und Ölen) wird L-Tryptophan für den Transport bis zur Blut-Hirn-Schranke an das Transportprotein Albumin gebunden. Nachdem es aus dieser Bindung freigesetzt wurde, kann Tryptophan ins Gehirn transportiert werden. An der Blut-Hirn-Schranke konkurriert L-Tryptophan allerdings mit fünf anderen Aminosäuren um das gleiche Transportsystem, welches das Eindringen in das Zentralnervensystem (ZNS) ermöglicht. Dabei handelt es sich um die verzweigtkettigen Aminosäuren (abgekürzt BCAA für Englisch Branched-Chain Amino Acids) L-Valin, L-Leucin und L-Isoleucin und die aromatischen Aminosäuren L-Phenylalanin und L-Tyrosin.
Um den Konkurrenzdruck zu senken und die zentrale Verfügbarkeit von L-Tryptophan zu erhöhen, spielen folgende Einflussfaktoren eine Rolle:
- Ernährung: Nach einer proteinreichen Mahlzeit wird durch die Aufnahme schnell wirksamer Kohlenhydrate der Insulinspiegel erhöht. Infolgedessen werden die konkurrierenden verzweigtkettigen Aminosäuren in die Muskelzellen geschleust und der prozentuale Anteil von Tryptophan im Blut wird erhöht. Damit kann dieses bevorzugt die Blut-Hirn-Schranke passieren.
- Sport: Intensive Ausdauerbelastung führt dazu, dass vermehrt verzweigtkettige Aminosäuren unter dem Einfluss von Insulin in die Muskelzellen aufgenommen werden. Infolgedessen steigt ebenso der prozentuale Anteil von Tryptophan im Blut. Gleiches gilt für ein kurzes intensives Krafttraining.
L-Tryptophan hat über die Bildung von Serotonin einen indirekten Einfluss auf den Schlaf und über den antidepressiven Effekt auf die allgemeine Stimmung.
Tryptophan-Kynurenin-Stoffwechsel
Lediglich 3 % des aufgenommenen Tryptophans wird für die Synthese von Serotonin und Melatonin im ZNS verwendet. Zum größten Teil ist Tryptophan für den Proteinaufbau, die Bildung des Vitamins B3 und des Coenzyms NAD von Bedeutung. Hierbei spielt der Tryptophan-Kynurenin-Stoffwechsel eine Rolle.
In der Leber beginnt der Tryptophanabbau mit der Spaltung des Pyrrolrings. Dieser Schritt wird vom Enzym Tryptophan-Pyrrolase (bzw. Tryptophan-2,3-Dioxygenase) katalysiert (beschleunigt) und N-Formylkynurenin wird gebildet. Mithilfe der Kynurenin-Formylase entsteht die nicht-proteinogene aromatische Aminosäure Kynurenin. Diese wird mittels der Kynurenin-2-Monooxygenase zu 3-Hydroxykynurenin umgewandelt. Beim nächsten Reaktionsschritt kommt es mithilfe der Kynureninase zur Abspaltung von L-Alanin und 3-Hydroxy-Anthranilat entsteht. Nun katalysiert die 3-Hydroxy-Anthranilat-Dioxygenase die Umwandlung zu Acroleyl-β-Aminofumarat. Nach weiteren Reaktionen wird schließlich Acetyl-CoA gebildet.
Der Biosyntheseweg für die Nicotinsäure (Niacin, Vitamin B3) zweigt nach der Bildung von Acroleyl-β-Aminofumarat ab. Nach der Bildung von Chinolat entsteht die NAD+-Vorstufe Nicotinsäuremononucleotid.
Die Tryptophan-Pyrrolase befindet sich in der Leber und reguliert den Tryptophanspiegel im Plasma. Liegt zu viel Tryptophan im Plasma vor, wird das Tryptophan-abbauende Enzym Tryptophan-Pyrrolase (bzw. Tryptophan-2,3-Dioxygenase) aktiviert.
Störungen des Tryptophan-Kynurenin-Stoffwechsels
Vitamin B6-Mangel
Bei einem Vitamin B6-Mangel (speziell Pyridoxalphosphat) sinkt die Aktivität der Kynureninase und es kommt zur Ansammlung von Kynurenin und 3-Hydroxykynurenin. In diesem Fall bildet sich aus Kynurenin spontan Kynurensäure und aus 3-Hydroxykynurenin entsteht Xanthurensäure. Die Kynurensäure hemmt die Glutamat- und Dopaminfreisetzung im synaptischen Spalt.
Immunreaktion
Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) ist ein Isoenzym der Tryptophan-Pyrrolase, welches vom peripheren Gewebe exprimiert wird. Entzündungsfördernde Zytokine wie IFN-γ oder TNF-α aktivieren das Isoenzym IDO.
Bei einer vorliegenden Immunreaktion wird Tryptophan durch IDO abgebaut, um somit die Verfügbarkeit für beispielsweise virusinfizierte oder Krebszellen zu verringern. Die Verarmung von Tryptophan hat auf die Zellen einen zytostatischen Effekt (hemmt Zellwachstum). Des Weiteren wirken Metabolite (Zwischenprodukte) wie 3-Hydroxykynurenin zytotoxisch (als Zellgift wirkend). Die Aktivierung des Enzyms IDO ist daher ein Abwehrmechanismus.
Demzufolge kann ein Serotonin/Melatonin-Mangels durch die Zufuhr von Tryptophan therapiert werden. Jedoch sollten Entzündungsmarker nicht in hohen Konzentrationen vorliegen, da diese IDO aktivieren.
Stress
Der durch chronischen Stress erhöhte Cortisolspiegel aktiviert das Tryptophan-abbauende Enzym Tryptophan-Pyrrolase.
Beachte: Aufgrund von chronischem Stress und entzündungsfördernden Zytokinen kann Tryptophan abgebaut werden. Dies führt zu einem verminderten Umsatz von L-Tryptophan zu 5-Hydroxytryptophan (5-HTP). 5-HTP ist eine Vorstufe des Serotonins.
Serotonin
Serotonin zählt zu den Neurotransmittern (Botenstoffen). Seine Wirkungen beziehen sich vor allem auf das Nervensystem (Stimmung), das Herz-Kreislauf-System (Vasokonstriktion) und den Darm (Darmperistalik ↑).
Serotonin wird aus der Aminosäure L-Tryptophan in einer Zwei-Schritt-Reaktion aufgebaut:
- 1. Schritt: Es entsteht das Zwischenprodukt: die nicht-proteinogene Aminosäure 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) (Katalysator ist das Enzym Tryptophan-Hydroxylase).
- 2. Schritt: Decarboxylierung zum Endprodukt Serotonin (Katalysator ist das Enzym Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase bzw. Hydroxytryptophan-Decarboxylase)
Bei der Synthese sind die Vitamine B6 und B3 sowie Magnesium beteiligt. Zudem hemmt Vitamin B3 die Aktivität des Tryptophan-abbauenden Enzyms Tryptophan-Pyrrolase und unterstützt somit die Synthese von Tryptophan zu 5-HTP.
Die Serotoninwirkung wird über 5-HT-Rezeptoren vermittelt. Ausgehend von den sogenannten Raphekernen, die im Hirnstamm lokalisiert sind, ist Serotonin über diese Nervenbahnen in allen Regionen des Gehirns aktiv. Sie beeinflussen z. B. die Gedächtnisleistung, den Gemütszustand, den Schlaf-Wach-Rhythmus und das Schmerzempfinden.
Melatonin
Melatonin ist ein Hormon der Epiphyse (Zirbeldrüse), einem Teil des Zwischenhirns.
Melatonin wird im Gehirn aus Tryptophan über die Zwischenstufe Serotonin synthetisiert (s. u.). Es wird nur nachts mit einsetzender Dunkelheit synthetisiert. Das Maximum der Bildung wird zwischen 2:00 und 4:00 Uhr erreicht, danach fällt es wieder ab. Tageslicht, das das Auge erreicht, hemmt die Melatoninsekretion. Dieses gilt insbesondere für das Morgenlicht, das den höchsten Blaulichtanteil hat. Im Laufe des Tages sinkt der Blaulichtanteil kontinuierlich und der Melatoninspiegel baut sich zum Abend hin langsam auf. Melatonin induziert die Tiefschlafphase und ist ein Stimulus für die Ausschüttung des Wachstumshormons Somatotropes Hormon (STH) (Synonym: Somatotropin).
Die Konzentration von Melatonin ist altersabhängig. Die höchste Konzentration haben Kleinkinder. Danach sinkt die Melatoninbildung kontinuierlich. Deshalb nimmt die durchschnittliche Schlafdauer im Alter ab und es treten gehäuft Schlafprobleme auf. Störungen der Somatotropin-Produktion induzieren eine vorzeitige Somatopause. Unter der Somatopause versteht man den zunehmenden Rückgang der STH-Sekretion (somatotropes Hormon (STH), engl. „human growth hormone“ (HGH): Wachstumshormon) mit konsekutivem STH-Mangel bei Erwachsenen im mittleren und fortgeschrittenen Alter.
Melatonin wird im Gehirn aus Tryptophan über die Zwischenstufe Serotonin in zwei Schritten synthetisiert (hergestellt):
- 1. Schritt: Serotonin wird mit Acetyl-Coenzym A N-acetyliert, (Katalysator ist das Enzym Serotonin-N-Acetyltransferase (AANAT)).
- 2. Schritt: N-Acetylserotonin wird mit S-Adenosylmethionin mittels der Acetylserotonin-O-Methyltransferase methyliert (Übertragung einer Methylgruppe).
Melatonin wirkt schlaffördernd und steuert den Tag-Nacht-Rhythmus.
Niacin
Niacin ist ein Sammelbegriff für chemische Strukturen der Pyridin-3-Carbonsäure, wozu Nicotinsäure, ihr Säureamid Nicotinamid und die biologisch aktiven Coenzyme Nicotinamid-adenin-dinukleotid (NAD) und Nicotinamid-adenin-dinukleotid-phosphat (NADP) gehören.
L-Tryptophan ist das Provitamin (Vorstufe von Vitaminen) von Niacin (Vitamin B3). Niacin spielt eine entscheidende Rolle in der Energieversorgung des Körpers und ist an einer Vielzahl verschiedenster Stoffwechselvorgänge (Protein-/Eiweiß-, Lipid-/Fett-, Kohlenhydratstoffwechsel) im Körper beteiligt ist.
Des Weiteren wurden die folgenden Fachbücher für die Verfassung dieses Artikels herangezogen [14-16].
Literatur
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