Biotin – Definition, Synthese, Resorption, Transport und Verteilung
Biotin ist ein hydrophiles (wasserlösliches) Vitamin der B-Gruppe und trägt die historischen Bezeichnungen Coenzym R, Vitamin BW, Vitamin B7 und Vitamin H (Wirkung auf die Haut). Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Wildiers in Versuchen an Hefen einen bestimmten für das Wachstum erforderlichen Faktor, der den Namen »Bios« erhielt und eine Mischung aus Bios I (später als meso-Inosit identifiziert), Bios II A (später Pantothensäure (Vitamin B5)) und Bios II B, dem eigentlichen Biotin, darstellte.
Im Jahre 1936 isolierten Kögl und Tönnis Biotin aus Eidotter. Zwischen 1940 und 1943 erfolgte die Strukturaufklärung durch die Arbeitsgruppen um Kögl in Europa beziehungsweise Vigneaud in den USA. Im gleichen Zeitraum konnte in Tierversuchen festgestellt werden, dass die regelmäßige Aufnahme roher Eier mit schweren Hautveränderungen einhergeht, die auf dem basischen Glykoprotein Avidin beruhen. Bei Avidin handelt es sich um einen Biotinantagonisten, der durch Komplexbildung – 1 Molekül Avidin bindet 4 Moleküle Biotin – die Biotinresorption beeinträchtigt und somit auf langfristige Sicht Biotinmangelelzustände hervorrufen kann. Die Gabe eines hitzestabilen Faktors aus Hefe oder Leber führte zur Remission (vorübergehende oder dauernde Abschwächung der Symptome) derartiger Hautveränderungen. Die biochemischen Funktionen von Biotin als Coenzym, beispielsweise im Aminosäurestoffwechsel, bei der Fettsäurebiosynthese und der Gluconeogenese (Neusynthese von Glucose aus organischen Nicht-Kohlenhydratvorstufen, wie Pyruvat), wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt [12].
Biotin ist ein heterozyklisches Harnstoffderivat (Abkömmling des Harnstoffs), das aus einem Imidazolidonring und einem Tetrahydrothiophenring besteht, an dem Valeriansäure gekoppelt ist [1, 2, 4-6, 14]. Entsprechend der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry)-Klassifikation lautet der chemische Name von Biotin cis-Hexahydro-2-oxo-1H-thieno(3,4-d)-imidazol-4-yl-valeriansäure (Summenformel: C10H16O3N2S) [12]. Durch die 3 asymmetrischen C-(Kohlenstoff-)Atome des Biotins ist die Bildung von 8 Stereoisomeren möglich, von denen nur das D-(+)-Biotin in der Natur vorkommt und biologisch aktiv ist [1, 2, 5, 12, 14, 16].
Während Biotin gegen Luft, Tageslicht und Hitze eine hohe Stabilität aufweist, ist das Vitamin gegen UV-Licht empfindlich. Demnach sollte Biotin lichtgeschützt aufbewahrt werden [5, 12, 14].
Synthese
Biotin kann von den meisten Bakterien sowie von vielen Pilz- und Pflanzenarten synthetisiert (gebildet) werden. Dementsprechend ist das Vitamin in der Natur weit verbreitet, deren Konzentration in den Nahrungsmitteln ist jedoch sehr gering [5, 12].
Im menschlichen Organismus sind die Bakterien des Colons (Dickdarms) zur Biotinsynthese fähig. Sowohl das Ausmaß der enteralen Eigensynthese (Bildung von Biotin im Darm) als auch ihr Anteil am Biotinstoffwechsel ist nicht genau bekannt. Da das Vitamin überwiegend im proximalen (oberen) Dünndarm resorbiert (aufgenommen) wird, kann mikrobiell produziertes Biotin nicht ausreichend ausgenutzt werden und geht größtenteils mit den Fäzes (Stuhl) verloren. Schließlich ist davon auszugehen, dass die bakterielle Biotinsynthese für die Bedarfsdeckung nur eine untergeordnete Rolle spielt [1, 2, 5, 12, 14].
Resorption
In der Nahrung liegt Biotin in freier Form, zum größten Teil jedoch an Proteine gebunden vor. Um resorbiert werden zu können, muss Biotin von seinem Bindungsprotein, an dem es kovalent (mittels einer festen Atombindung) an der ε (epsilon)-Amino-(NH2-)Gruppe eines Lysinrests gebunden ist (Biotinyl-ε-NH2-Lysyl<[Protein]), gelöst werden. Während der Nahrungspassage führen Magensäure und Peptidasen (proteinspaltende Enzyme) des Gastrointestinaltrakts (Magen-Darm-Trakts), wie Pepsin und Trypsin, zur Degradation (Zersetzung) von Nahrungsprotein unter Freisetzung von biotinhaltigen Peptiden und Biocytin (Verbindung aus Biotin und der Aminosäure Lysin – Biotinyl-ε-Lysin). Biotinylpeptide und insbesondere Biocytin werden im oberen Dünndarmabschnitt durch das Enzym Biotinidase, das im Pankreas (Bauchspeicheldrüse) synthetisiert wird, in freies Biotin und Lysin hydrolytisch (durch Reaktion mit Wasser) gespalten. Ein Mangel an Biotinidase lässt sich durch pharmakologische Mengen an freiem Biotin (5-10 mg/Tag) behandeln. Ohne therapeutisches Handeln kommt es innerhalb von einer Woche zu einem dramatischen Abfall des Biotin-Serumspiegels und auf langfristige Sicht zur Manifestation (Ausprägung) eines Biotinmangels [1, 2, 5, 12, 14, 16].
Die Resorption von freiem Biotin im proximalen (oberen) Dünndarm, vor allem im Jejunum (Leerdarm), erfolgt bei niedriger beziehungsweise normaler Zufuhr aktiv mittels eines Natrium-abhängigen carriervermittelten Transports – Carrier (Transportprotein)-Biotin-Natrium-Komplex – entsprechend einer Sättigungskinetik. Nach höheren Dosen überwiegt die Aufnahme von Biotin in die Enterozyten (Zellen des Dünndarmepithels) durch passive Diffusion [5, 12, 14, 16].
Die Resorptionsrate aus Lebensmitteln – hauptsächlich proteingebundenes Biotin – wird auf etwa 50 % geschätzt, während die Bioverfügbarkeit nach therapeutischen Dosen – freies Biotin – um 100 % beträgt [12, 16].
Transport und Verteilung im Körper
Absorbiertes Biotin gelangt über einen Carriermechanismus in die Blutbahn, wo es größtenteils in freier Form (81 %) vorliegt und im geringen Umfang kovalent an die Serum-Biotinidase (12 %) und unspezifisch an Plasmaalbumine und -globuline (7 %) gebunden ist [7]. Die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) enthalten etwa 10 % der Biotin-Serumkonzentration [12].
Die Aufnahme von Biotin in die Zellen der Zielgewebe erfolgt vermutlich – ähnlich wie die intestinale Resorption (Aufnahme über den Darm) – über einen spezifischen energieverbrauchenden Natrium-abhängigen Carriermechanismus [13]. Proliferationsprozesse (Zellteilung und -wachstum) führen zu einer Zunahme der Expression von Biotintransportproteinen, während eine Erhöhung des Biotin-Serumspiegels mit einer Abnahme der zellulären Expression von Biotincarriern einhergeht [3, 17]. Der Transport von Biotin über die Plazentra zum Feten wird durch einen aktiv arbeitenden Natrium-abhängigen Carrier vermittelt, der auch Liponsäure (antioxidativ wirksames Coenzym) und Pantothensäure (Vitamin B5) transportiert. In der 18.-24. Schwangerschaftswoche ist die Biotinkonzentration im fetalen Blut um 3- bis 17-fach höher als im mütterlichen Blut [10, 11].
In den Zielzellen fungiert Biotin als Coenzym bei einer Reihe von Carboxylase-Reaktionen, in denen Carboxy-(COOH-)Gruppen in organische Verbindungen eingefügt werden.
Die kovalente Bindung von Biotin an die ε-Aminogruppe von Lysin der Apocarboxylasen wird durch das Enzym Holocarboxylase-Synthetase in folgenden zwei Schritten katalysiert (beschleunigt) [1, 12].
- Biotin + ATP (Adenosintriphosphat) → Biotinyl-5´-adenylat + PP (Pyrophosphat)
- Biotinyl-5´-adenylat + Lysinrest der Apocarboxylase → Biotinyl-ε-NH2-Lysyl<[Apocarboxylase] (biologisch aktive Holocarboxylase) + AMP (Adenosinmonophosphat)
Im Rahmen des physiologischen Zellumsatzes werden die Holocarboxylasen proteolytisch (durch proteinspaltende Enzyme) abgebaut, wobei neben biotinhaltigen Peptiden vor allem Biocytin entsteht, das durch Einwirkung der intrazellulären Biotinidase zu freiem Biotin und Lysin hydrolysiert (durch Reaktion mit Wasser gespalten) wird. Somit steht Biotin für weitere Carboxylierungsreaktionen (enzymatisches Einfügen von COOH-Gruppen in organische Verbindungen) zur Verfügung [1, 2, 12].
Ausscheidung
Biotin wird überwiegend über die Nieren in freier und metabolisierter (verstoffwechselter) Form ausgeschieden. Beim Biotinabbau entstehen im Rahmen der beta-Oxidation (Fettsäureabbau) der Valeriansäurekette Bisnorbiotin und Bisnorbiotinmethylketon, während die Oxidation des Schwefels im Tetrahydrothiophenring Biotin-d,1-sulfoxid und Biotinsulfon hervorbringt. Die aufgeführten Biotinmetabolite besitzen keine Vitaminwirksamkeit und sind sowohl im Blutplasma als auch im Urin nachweisbar [8, 15]. Daneben werden noch andere Biotinmetabolite renal (über die Nieren) ausgeschieden, die teilweise noch nicht identifiziert sind [12].
Unter physiologischer Zufuhr schwankt die Biotinausscheidung im Urin zwischen 6 und 90 µg/24 Stunden. Im Mangelzustand sinkt die renale Biotinexkretion (Ausscheidung) bis auf 5 µg/24 Stunden ab, während die Konzentration der 3-Hydroxyisovaleriansäure im Harn infolge der verminderten Aktivität der Biotin-abhängigen 3-Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase (Enzym, das die Carboxylierung (Einfügen einer COOH-Gruppe) von Methylcrotonyl-CoA zu beta-Methylglutaconyl-CoA katalysiert) ansteigt [8, 9]. Während der Gravidität (Schwangerschaft) konnte bei 50 % der Frauen eine signifikante Abnahme der renalen Biotineliminierung und eine Zunahme der 3-Hydroxyisovaleriansäureausscheidung im Urin beobachtet werden, trotz höherer Biotin-Serumspiegel in der Frühschwangerschaft als bei nicht-schwangeren Kontrollen [10]. Eine Supplementation (ergänzende Zufuhr) von 300 µg Biotin/Tag führt zur Reduktion der 3-Hydroxyisovaleriansäureausscheidung [11].
Bedingt durch die mikrobielle Biotinsynthese im Colon (Dickdarm), übersteigt die mit dem Urin und den Fäzes ausgeschiedene Menge an Biotin meist die alimentäre (mit der Nahrung) Biotinzufuhr [1, 2, 5, 12, 14].
Die Eliminations- beziehungsweise Plasmahalbwertszeit (Zeitspanne, die zwischen der Maximalkonzentration einer Substanz im Blutplasma auf den Abfall auf die Hälfte dieses Wertes verstreicht) ist von der zugeführten Biotindosis und vom individuellen Biotinstatus abhängig. Sie beträgt bei oraler Einnahme von 100 µg/kg Körpergewicht Biotin etwa 26 Stunden. Bei Biotinidasemangel ist die Eliminationshalbwertszeit bei gleicher Dosierung auf 10-14 Stunden verkürzt [12, 14].
Des Weiteren wurden die folgenden Fachbücher für die Verfassung dieses Artikels herangezogen [18, 19].
Literatur
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