L-Carnitin – Definition, Synthese, Resorption, Transport und Verteilung
L-Carnitin (lat.: caro, carnis = Fleisch) ist ein Vitaminoid (vitaminähnliche Substanz), das im Jahre 1905 entdeckt worden ist. Die historische Bezeichnung »Vitamin BT« geht auf Versuche mit dem Mehlkäfer Tenebrio molitors zurück, mit dem das Vitaminoid in Verbindung gebracht wurde [6, 10].
L-Carnitin ist eine wasserlösliche quartäre Ammonium (NH4+)-Verbindung – Zentralatom N+ mit 4 gebundenen organischen Resten (3 Methyl (CH3)-Gruppen, 1 Hydroxycarbonsäure) – mit dem chemischen Namen 3-Hydroxy-4-trimethylaminobuttersäure [3-5, 10, 12]. Da das Vitaminoid ein chirales Kohlenstoff (C)-Atom besitzt, existieren die beiden Stereoisomere D-Carnitin und L-Carnitin, wobei nur die L-Konfiguration des Carnitins nahezu ubiquitär (lat.: ubique = überall) in der Natur vorkommt und metabolisch (den Stoffwechsel betreffend) aktiv ist [3].
L-Carnitin ist natürlicherweise sowohl in pflanzlichen als auch tierischen Lebensmitteln enthalten. Tierische Produkte, vor allem Fleisch, wie Schaf-, Lamm- und Rindfleisch, weisen deutlich höhere Mengen als Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs auf [5, 6]. Während bei einer üblichen Mischkost etwa 32 mg Carnitin/Tag aufgenommen werden, führen Vegetarier nur durchschnittlich 2 mg Carnitin/Tag zu [5, 6, 10].
Synthese
Der Mensch ist in der Lage, L-Carnitin in Gehirn, Niere und insbesondere in der Leber selbst zu synthetisieren (herzustellen) [5, 6, 12]. Bei gesunden Personen erfolgt die endogene (körpereigene) Carnitinsynthese in bedarfsdeckenden Mengen (15-18 mg/Tag). Damit stellt das Vitaminoid für den Menschen keinen essentiellen (lebensnotwendigen) Nährstoff dar [5, 10]. Ausgangssubstanz für die Eigensynthese ist die essentielle Aminosäure Lysin, die in einer fünfstufigen Reaktionsfolge dreifach methyliert (Anhängen von CH3-Gruppen), mehrfach reduziert (Einfügen von Wasserstoff (H)-Atomen) und decarboxyliert (Abspaltung eines Kohlendioxid (CO2)-Moleküls) wird [1, 5, 11]. Die CH3-Gruppen stammen aus S-Adenosylmethionin (SAM), einem universellen Methylgruppendonator, der aus der essentiellen Aminosäure Methionin hervorgeht. Neben Lysin und Methionin werden für die Biosynthese von L-Carnitin auch Ascorbinsäure (Vitamin C), Niacin (Vitamin B3) und Pyridoxin (Vitamin B6) sowie das Spurenelement Eisen benötigt [1-3, 5, 9-12]. Beispielsweise ist Vitamin C Cofaktor zweier Dioxygenasereaktionen (Übertragung beider Atome eines Sauerstoff (O2)-Moleküls), die alpha-Ketoglutarat benötigen [3, 9].
Ausgehend von proteingebundenem Lysin erfolgt die Carnitinbiosynthese über folgende Zwischenstufen [1, 11]:
- L-Lysin → Trimethyllysin → Hydroxy-Trimethyllysin → Trimethylaminobutyraldehyd → Trimethylaminobutyrat (gamma-Butyrobetain) → L-Carnitin
Während die Umwandlung von L-Lysin in gamma-Butyrobetain im menschlichen Organismus neben Leber, Niere und Gehirn auch in Herz- und Skelettmuskel stattfindet, erfolgt die vollständige L-Carnitinsynthese einschließlich des letzten Schrittes – die Hydroxylierung (Einfügen von OH-Gruppen) von gamma-Butyrobetain zu L-Carnitin – nur in Leber, Niere und Gehirn aufgrund des Vorhandenseins des Enzyms gamma-Butyrobetain-Hydroxylase [1, 11].
Die Aktivität der gamma-Butyrobetain-Hydroxylase ist vom Alter abhängig. Bei Kindern beträgt die Enzymaktivität etwa 12 %, um im Jugend- und Erwachsenenalter auf 100 % anzusteigen [11].
Eine defizitäre Zufuhr der essentiellen Aminosäuren Lysin und Methionin sowie der Mikronährstoffe Vitamin B3, B6, C und Eisen vermindert die körpereigene L-Carnitin-Synthese und führt bei fleischarmer Kost schon frühzeitig zu einer Carnitinverarmung der Muskulatur, die sich klinisch in Form von Müdigkeit und Schwäche äußern kann [2, 3].
Sich streng vegetarisch ernährende Personen sind häufig von einer Carnitinunterversorgung betroffen, einerseits aufgrund der geringen nutritiven Aufnahme und andererseits aufgrund der eingeschränkten Eigensynthese infolge einer reduzierten Lysin-, Methionin- und Eisenzufuhr [8].
Bei totaler parenteraler Ernährung (TPE, künstliche Ernährung unter Umgehung des Magen-Darmtraktes) ist ebenso sowohl die endogene (körpereigene) Synthese als auch exogene Zufuhr von L-Carnitin unzureichend. Ursache für die mangelhafte Eigensynthese ist das Ausbleiben des First-pass-Metabolismus (Umwandlung eines Stoffes währenddessen erster Passage durch die Leber) von Methionin zu SAM, denn intravenös (über die Vene) zugeführtes Methionin wird vorrangig über extrahepatische (außerhalb der Leber) Transaminierung (Verschiebung beziehungsweise Abgabe einer Amino (NH2)-Gruppe) zu Sulfat metabolisiert [10]. Bei Patienten unter TPE wird ein Abfall der Carnitinkonzentration im Gewebe nach 20-40 Tagen beobachtet [6, 10]. Erhöhte renale (nierenbedingte) Verluste, beispielsweise durch Einnahme bestimmter Medikamente, katabole Situationen – postoperative Phase (nach Operationen), Sepsis (Blutvergiftung), Verbrennungen etc. – und Lebererkrankungen beschleunigen die Carnitinverarmung der Organe und Gewebe und erhöhen das Risiko für einen Mangel an L-Carnitin [10, 12].
Bei Früh- und Neugeborenen ist die Eigensynthese noch nicht vollständig ausgereift und die tubuläre Reabsorption (Rückresorption durch die Nierenkanälchen) von L-Carnitin unzureichend. Werden Kinder dieser Altersgruppe parenteral – ohne Carnitinzusatz – ernährt oder mit einer Säuglingsnahrung auf Sojabasis gefüttert, ist eine Carnitinsubstitution – Einnahme von reinem, natürlichem Carnitin (L-Carnitin) – aufgrund der mangelhaften exogenen Zufuhr (über die Nahrung) indiziert (angezeigt). Im Gegensatz dazu liefert eine Ernährung mit Muttermilch ausreichende Mengen an L-Carnitin – 50-100 nmol/ml [5, 6, 10, 12].
Die endogene Carnitinsynthese kann durch eine angeborene Störung – primärer Carnitinmangel – oder durch verschiedene Erkrankungen – sekundärer Carnitinmangel – beeinträchtigt sein, wobei die sekundäre Carnitinverarmung weit häufiger anzutreffen ist. So setzt beispielsweise eine Leberzirrhose (Endstadium chronischer Lebererkrankungen, gekennzeichnet durch Bindegewebsvermehrung infolge einer chronischen Entzündung mit Verhärtung, narbiger Schrumpfung und Untergang von Funktionsgewebe) oder Niereninsuffizienz (Endstadium chronischer Nierenerkrankungen, gekennzeichnet durch eine Nierenleistung von ≤ 15 % der Norm und die Notwendigkeit einer Dialyse (Blutreinigungsverfahren durch Stoffaustausch über eine Membran) oder Nierentransplantation) die Syntheseleistung deutlich herab [5, 6, 12]. Ebenso kann eine Phenylketonurie (PKU) mit einer reduzierten Carnitinsynthese einhergehen. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um die häufigste angeborene Störung des Aminosäurestoffwechsels – etwa eines von 8.000 Neugeborenen ist betroffen. Betroffene Patienten weisen eine fehlende oder verminderte Aktivität des Enzyms Phenylalaninhydroxylase (PAH) auf, das für den Abbau von Phenylalanin zu Tyrosin zuständig ist. Zur Therapie sind phenylalanin- beziehungsweise proteinhaltige Lebensmittel zu meiden. Infolge des Verzichts auf tierisches Protein als Cofaktor einer optimalen Eisenresorption werden bei Patienten mit PKU häufig Eisenmangelzustände beobachtet. Die reduzierte Eisenresorption führt wiederum zu einer Verminderung der Carnitinsynthese. Untersuchungen mit PKU-Patienten zeigen eine positive Korrelation (Beziehung) zwischen der Carnitin- und der Ferritin (Eisenspeicherprotein)-Serumkonzentration [2]. Schließlich sollten Patienten mit Phenylketonurie neben Eisen regelmäßig mit L-Carnitin supplementiert werden [2].
Resorption
Die Absorption (Aufnahme) von L-Carnitin im oberen Dünndarm, vor allem im Jejunum (Leerdarm), erfolgt aktiv durch den Carnitintransporter OCTN-2 (Organic Carnitine/Cation Transporter-2) und den Aminosäuretransporter ATB (0,+) [5, 7, 13]. Bei hohen Dosen wird L-Carnitin zusätzlich durch passive Diffusion resorbiert [5].
Die Bioverfügbarkeit von L-Carnitin aus der Nahrung wird auf 100 % geschätzt [3]. Das D-Isomer von Carnitin, Acetyl-D,L-Carnitin und Betain (quartäre Ammoniumverbindung), wie gamma-Butyrobetain (Trimethylaminobutyrat) und Glycinbetain, vermindern die Absorptionsrate von L-Carnitin durch Hemmung des OCTN-2 [12, 14].
Verteilung im Körper
Der Gesamtbestand an L-Carnitin im Körper beträgt etwa 20-25 g. Organe, die ihren Energiebedarf vorrangig aus Fetten decken, wie Herz- und Skelettmuskel, Leber und Nieren, weisen besonders hohe Carnitingehalte auf. Das Vitaminoid ist zu 98 % in Herz- und Skelettmuskel gespeichert. Die restlichen Carnitinreserven befinden sich in Leber und Nieren [3, 5, 12].
In den Organen und Geweben kommt L-Carnitin sowohl in freier Form als auch gebunden an kurzkettige – Acetylcarnitin – und langkettige Liganden – Acylcarnitin – vor [3, 4].
Die Aufnahme von L-Carnitin in die Zielzellen erfolgt durch OCTN-2 [7, 13, 14]. Intrazellulär (innerhalb der Zelle) fungiert die alkylierte Hydroxycarbonsäure hauptsächlich als "Biocarrier" und ist für den Transport langkettiger Fettsäuren vom Zytosol durch die innere Membran der Mitochondrien ("Energiekraftwerke" der Zellen) in die Mitochondrienmatrix – den Ort der beta-Oxidation (Fettsäureabbau) – zuständig. Bei diesem Prozess wird L-Carnitin nicht "verbraucht", sondern regeneriert, um seine Funktion als Carrier (Transporter) erneut wahrnehmen zu können [3, 5, 6, 8, 10].
Die zelluläre Carnitinaufnahme, vor allem die Aufnahme in die Myozyten (Muskelzellen), ist bei einer angeborenen Beeinträchtigung der carnitinspezifischen Transportsysteme vermindert. Bei Betroffenen liegt zwar die Carnitin-Serumkonzentration im Normbereich, die intramuskuläre (innerhalb der Muskelzellen) Carnitinkonzentration ist jedoch deutlich reduziert – myopathischer Carnitinmangel [5].
Die Aufnahme von L-Carnitin in die Zielzellen wird zudem durch D-Carnitin, Acetyl-D,L-Carnitin sowie gamma-Butyrobetain (Trimethylaminobutyrat) und Glycinbetain gehemmt, da diese Substanzen den Carnitintransporter OCTN-2 inhibieren [12, 14].
Ausscheidung
Carnitin wird überwiegend über die Nieren ausgeschieden. Über 90 % der glomerulär filtrierten Menge gelangt zur tubulären Reabsorption (Rückresorption durch die Nierenkanälchen) und steht dem Organismus für erneute biochemische Prozesse zur Verfügung [5].
Folgende Faktoren hemmen die tubuläre Reabsorption und erhöhen die renale Ausscheidung von L-Carnitin [5, 8, 10, 12]:
- Erkrankungen, wie Diabetes mellitus
- Metabolischer Stress, wie er im Postaggressionsstoffwechsel typisch ist – nach großen Traumata und Operationen, ausgedehnten Verbrennungen und schweren Infektionen durch Bakterien, Viren oder Pilze
- Hohe körperliche Belastungen, wie schwere körperliche Arbeit oder Leistungssport
- Medikamente, insbesondere Antikonvulsiva (Medikamente zur Behandlung epileptischer Krampfanfälle), wie Valproinsäure
- Hungerzustand
Infolge vermehrter Carnitinverluste können die aufgeführten Faktoren zu einer Carnitinverarmung der Organe und Gewebe führen – sekundärer Carnitinmangel [5, 8, 10, 12].
Patienten, die aufgrund eines chronischen Nierenversagens dialysepflichtig sind, weisen ein besonders hohes Risiko für eine Carnitinunterversorgung auf. Eine Hämodialyse (Blutwäsche) kann mit einem Carnitinverlust von bis zu 350 mg einhergehen, der die endogene Biosynthese bei weitem übersteigt und zu einem Abfall der Carnitin-Serumkonzentration um etwa 50 % führt. Da dieser Carnitinverlust durch eine vermehrte Zufuhr über die Nahrung nicht ausgeglichen werden kann, ist eine Supplementierung (Nahrungsergänzung) indiziert [5, 6]. Eine Supplementierung mit L-Carnitin verhindert den sonst zu beobachtenden Anstieg freier Fettsäuren im Serum, wodurch die Bedeutung des Vitaminoids für die Einschleusung langkettiger Fettsäuren in die Mitochondrienmatrix und den anschließenden oxidativen Fettsäureabbau bestätigt wird [6].
Des Weiteren wurde folgendes Fachbuch für die Verfassung dieses Artikels herangezogen [15].
Literatur
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- Biesalski HK, Bischoff SC, Pirlich M, Weimann A (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. 5. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2017
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- Hahn A, Ströhle A, Wolters M. Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2023
- Kasper H: Ernährungsmedizin und Diätetik. 10. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München 2004
- Klaassen CD, Aleksunes LM: Xenobiotic, bile acid, and cholesterol transporters: function and regulation. Pharmacol Rev. 2010 Mar;62(1):1-96
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